Bernhard Waldenfels-Archiv
Bernhard Waldenfels hat der Universität Freiburg am 08.10.2009 seinen umfangreichen "Vorlass" als Schenkung überlassen. Er hat Freiburg gewählt als Zeichen seiner Verbundenheit mit der philosophischen Tradition der Hochschule, an welcher der Begründer der modernen Phänomenologie, Edmund Husserl, lehrte.
Zur Geschichte und Aufgabe des Waldenfels-Archivs in Freiburg
Re-Etablierung der Phänomenologie in Deutschland
Nach Edmund Husserls Tod 1938 wurde sein Nachlass durch den belgischen Franziskanerpater Herman Leo van Breda vor dem Zugriff der Nationalsozialisten gerettet und nach Leuven verbracht. Zur Auswertung und Sicherung dieses fast 40.000 Seiten umfassenden Nachlasses entstanden in der Folgezeit die Archive in Leuven (1939), Freiburg (1950) und Köln (1951). Für weitere Informationen zur Geschichte der Husserl-Archive, klicken Sie bitte hier.
Trotz der beiden Archive in Freiburg und Köln hatte der zweite Weltkrieg der phänomenologischen Tradition in Deutschland allerdings fast restlos den Boden entzogen. In Frankreich hingegen haben zuerst Levinas, Merleau-Ponty und Sartre, später dann viele andere phänomenologisches Denken aufgegriffen und weiterentwickelt. In dieser Tradition steht auch Bernhard Waldenfels. Mit der Gründung des Waldenfels-Archivs kehrt somit eine Richtung phänomenologischen Forschens quasi aus dem französischen Exil nach Deutschland zurück. Einige Jahre nach der Emeritierung wurde der Vorlass der Universität Freiburg zur Archivierung angeboten. Dem ehemaligen Direktor des Husserl-Archivs, Prof. Dr. Hans-Helmuth Gander und dem früheren Rektor der Universität Freiburg, Prof. Dr. Dr. hc Hans-Jochen Schiewer ist es zu verdanken, dass dieser Vorschlag realisiert werden und ein institutioneller Rahmen für das Waldenfels-Archiv geschaffen werden konnte.
Waldenfels und die französische Phänomenologie
Bernhard Waldenfels studierte 1960 - 1962 in Paris bei Ricœur und vor allem bei Merleau-Ponty. Später kam es zu engen Kontakten mit Emmanuel Levinas, Jacques Derrida und Cornelius Castoriadis. In der Folge trug Waldenfels erheblich dazu bei, die neuere französische Philosophie in Deutschland bekannt zu machen: Er schrieb nicht nur mehrere Bücher zu dem Thema (Phänomenologie in Frankreich (1983), Deutsch-Französische Gedankengänge (1995), oder auch Idiome des Denkens. Deutsch-Französische Gedankengänge II (2005)), sondern gab auch verschiedene Sammelbände zum Denken Derridas, Foucaults und Merleau-Pontys (mit) heraus und übersetzte einige Werke Mearleau-Pontys ins Deutsche. Bernhard Waldenfels ist zudem Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für phänomenologische Forschung.
Waldenfels eigener Beitrag zur Phänomenologie
In seinen Werken entwickelte er eine eigene Form der responsiven Phänomenologie, die vor allem in den Werken Antwortregister (1994) und Bruchlinien der Erfahrung (2002) ihre eigene Gestalt annahm. Darin spielen pathische Formen der Erfahrung, das Urphänomen der Fremdheit und der Anspruch des Anderen eine entscheidende Rolle. Hinzu kommen zahlreiche Einzelstudien zu Phänomenen wie Aufmerksamkeit, Bild, Lebenswelt, Leiblichkeit, Ordnung, Raum und Zeit und zu Grenzbereichen wie Phänomenotechnik und Psychoanalyse. Die Forschung im Bereich der Phänomenologie und neueren französischen Philosophie wurde intensiviert durch die gemeinsame Arbeit in der Bochumer Abteilung des Graduiertenkollegs „Phänomenologie und Hermeneutik“, die von 1992-98 andauerte und aus der viele Einzelarbeiten hervorgingen; diese sind größtenteils in den Reihen „Übergänge“ und „Phänomenologische Untersuchungen“ im Fink-Verlag erschienen. Im Jahr 2017 bekam Bernhard Waldenfels zur Würdigung seines Gesamtwerkes, welches in seinen philosophischen Beiträgen die Psychoanalyse in kreativ-kritischer Weise aufgreift, den Sigmund-Freud-Kulturpreis verliehen.
Unterbringung und Leitung
Der Materialbestand ist in dem neu gegründeten Bernhard Waldenfels-Archiv in einem eigens dafür eingerichteten Raum des Freiburger Husserl-Archivs untergebracht. Der damalige Direktor des Freiburger Husserl-Archivs, Prof. Dr. Hans-Helmuth Gander, hatte die Leitung des Archivs bis 2023 inne. Seit der Übernahme der Leitung des Husserl Archivs durch Inga Römer leitet sie auch das Bernhard Waldenfels-Archiv. Dr. Regula Giuliani ordnete von 2010 bis 2014 den Archivbestand und machte ihn für Interessierte zugänglich. Die Schenkung umfasst Vortragsmanuskripte, Redemanuskripte, Buchmanuskripte, Forschungsmappen und Teile der wissenschaftlichen Bibliothek des Philosophen.
Schenkung und die Übergabe des vorläufigen Bestandes
Festakt zur Feier der Schenkung
Im Rahmen der Husserl-Arbeitstage 2009 fand am Donnerstag, den 26. November 2009 der Festakt zum 150. Geburtstag Edmund Husserls statt. Gleichzeitig wurde das Bernhard Waldenfels-Archiv feierlich eröffnet. Nach dem Grußwort des damaligen Rektors der Universität, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer, der Dekanin der Philosophischen Fakultät, Prof. Dr. Gisela Riescher, und des Direktors des Husserl-Archivs, Prof. Dr. Hans-Helmuth Gander, hielt Prof. Dr. Bernhard Waldenfels den Festvortrag „Normalität im Widerstreit“.
Übergabe des vorläufigen Archivbestands
Nach dem Zustandekommen des Schenkungsvertrags zwischen der Universität Freiburg und Bernhard Waldenfels wurde die Übergabe der Materialbestände vorbereitet. Anfang des Jahres 2010 trafen Kisten und Pakete aus Bochum und aus München in Freiburg ein.